VG Neustadt, Beschluss vom 05.07.2016 – 3 L 519/16.NW
Eine Fahrtenbuchauflage kann rechtmäßig sein, wenn der Halter eines Pkw nach einer Geschwindigkeitsüberschreitung bei der Ermittlung des Fahrers nicht ausreichend mitgewirkt hat. Die Fahrtenbuchauflage ist nicht deshalb unzulässig, weil der Halter sich im Ordnungswidrigkeitsverfahren auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen konnte. Das hat das Verwaltungsgericht Neustadt entschieden.
Sachverhalt
Der im Landkreis Germersheim wohnhafte Antragsteller ist Halter eines Kraftfahrzeugs. Mit diesem wurde am 09.01.2016 um 21:05 Uhr in der Innenstadt von Karlsruhe die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerhalb geschlossener Ortschaft um mindestens 23 km/h überschritten. Der Verstoß wurde auf einem Lichtbild dokumentiert. Darauf ist eine männliche Person zu erkennen.
Die Bußgeldstelle der Stadt Karlsruhe ermittelte daraufhin den Antragsteller als Fahrzeughalter und übersandte ihm Ende Januar 2016 einen Anhörungsbogen mit dem Fahrerfoto. Nachdem der Antragsteller nicht darauf reagierte, forderte die Bußgeldstelle bei der Verbandsgemeindeverwaltung Kandel das dort einliegende Passbild des Antragstellers zum Abgleich mit dem Beweisfoto an. Dabei ergab sich, dass es sich bei dem Antragsteller nicht um den Fahrzeugführer handelte.
Am 01.04.2016 suchten Beamte der Polizeiinspektion Wörth den Antragsteller auf. Nachdem dieser belehrt und auf sein Zeugnisverweigerungsrecht im Hinblick auf nahe Angehörige hingewiesen worden war, machte der Antragsteller nach Vorlage des Beweisfotos keine Angaben. In der Folgezeit stellte die Bußgeldstelle der Stadt Karlsruhe das gegen den Antragsteller eingeleitete Ordnungswidrigkeitenverfahren ein.
Mit Bescheid vom 23.05.2016 verpflichtete daraufhin die Kreisverwaltung Germersheim den Antragsteller zur Führung eines Fahrtenbuches für sein Kraftfahrzeug für die Dauer von zwölf Monaten und ordnete die sofortige Vollziehung an. Der Antragsteller hat dagegen Widerspruch eingelegt und Ende Juni 2016 um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht.
Zur Begründung hat er ausgeführt: Zum einen habe der Antragsgegner nicht alle nach den Umständen des Einzelfalles angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen, um den Fahrzeugführer zu ermitteln. Zum anderen müsse berücksichtigt werden, dass er im Bußgeldverfahren berechtigterweise von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht habe. Der Zeugnisverweigerungsberechtigte solle vor dem inneren Konflikt bewahrt werden, gegen seine Familienangehörigen aussagen zu müssen.
Wäre es aber zulässig, im Nachhinein eine Fahrtenbuchauflage anzuordnen, so würde mittelbar doch ein Aussagedruck entstehen. Er, der Antragsteller, hätte der Maßnahme und den Gebühren, die hier im Ergebnis sogar höher seien als das für die eigentliche Ordnungswidrigkeit zu verhängende Bußgeld, nur durch Verzicht auf sein Zeugnisverweigerungsrecht entgehen können. Die Fahrtenbuchauflage bewirke auch eine vollständige Aushöhlung des Zeugnisverweigerungsrechts hinsichtlich möglicher zukünftiger Verkehrsverstöße seiner Familienangehörigen.
Entscheidungsgründe
Den Eilantrag des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht mit folgender Begründung abgelehnt:
Die Fahrtenbuchauflage für das Kraftfahrzeug des Antragstellers sei rechtmäßig. Mit dem auf ihn zugelassenen Kraftfahrzeug sei am 09.01.2016 um 21:05 Uhr den Verkehrsvorschriften zuwider gehandelt worden, indem der Fahrer dieses Fahrzeugs in der Innenstadt von Karlsruhe die innerhalb geschlossener Ortschaften zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 23 km/h (nach Toleranzabzug) überschritten habe.
Die weitere Voraussetzung zur Anordnung einer Fahrtenbuchauflage, dass der verantwortliche Fahrzeugführer im Zeitpunkt der Begehung des Verkehrsverstoßes nicht habe ermittelt werden können, sei ebenfalls offensichtlich erfüllt. Da der Antragsteller an der Aufklärung nicht mitgewirkt habe, sei es dem Antragsgegner nicht zuzumuten gewesen, wahllos zeitraubende, aber kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen nach dem Fahrzeugführer zu betreiben.
Bei dem Verkehrsverstoß vom 09.01.2016 habe es sich auch um einen schwerwiegenden Verstoß gehandelt, der eine Fahrtenbuchauflage rechtfertige. Die festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung um 23 km/h (nach Toleranzabzug) stelle einen Verkehrsverstoß dar, der zu einem Eintrag von einem Punkt im Fahreignungsregister geführt hätte.
Der Antragsteller könne als Halter eines Kraftfahrzeugs auch nicht einwenden, die Fahrtenbuchauflage sei unzulässig, weil er sich in dem vorangegangenen Ordnungswidrigkeitsverfahren auf ein Zeugnisverweigerungsrecht habe berufen dürfen. Denn die Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, diene der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs und stelle eine Maßnahme der vorbeugenden Gefahrenabwehr dar.
Sie solle auf die dem Fahrzeughalter mögliche und zumutbare Mitwirkung bei der Feststellung des Führers des Kraftfahrzeuges hinwirken, mit dem ein Verkehrsverstoß begangen worden sei und den Fahrzeughalter zur Erfüllung seiner Aufsichtspflichten anhalten, soweit er andere Fahrer sein Fahrzeug benutzen lasse. Der Antragsteller müsse es sich daher gefallen lassen, dass mit anderen Mitteln – eben der Fahrtenbuchauflage – in Zukunft sichergestellt werde, dass der Täter einer Ordnungswidrigkeit oder einer Straftat im Straßenverkehr zur Rechenschaft gezogen werden könne.
Ein doppeltes „Recht“, nach einem Verkehrsverstoß einerseits im Ordnungswidrigkeitsverfahren die Aussage zu verweigern und trotz fehlender Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, bestehe nicht.
Gegen den Beschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz zulässig.
Quelle: Pressemitteilung – VG Neustadt vom 11.07.2016